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Der Marsianer: Rettet Ridley Scott!

Eine Aura der Belanglosigkeit umgibt Der Marsianer: Glotzt man auf das Filmplakat, hat es außer einem leicht gelangweilten, aber dennoch formatfüllenden Matt-Damon-Gesicht nichts zu bieten. Daneben prangt blass der nichtssagende Satz „Rettet Mark Watney“, der sich nicht entscheiden kann ob er Werbeslogan oder Untertitel sein will. In Wirklichkeit muss hier allerdings nicht Mark Watney gerettet werden, sondern der Mars als Filmplanet und die Karriere vom einst so großen Regisseur Ridley Scott.

Es gibt zweierlei grundliegende Arten fremde Planeten in seine Filme einzubinden: Entweder muss er so weit weg sein, dass unserer Fantasie keine Grenzen gesetzt sind oder er muss zum Greifen nah sein und die Hoffnung wecken, ihn eines Tages erreichen zu können.

Früher, bei den ersten Filmen, war der Mond all das. Heute ist er nichts mehr davon. Nach und nach entzauberte die moderne Technik unseren Erdtrabanten und spätestens seit der Mondlandung ist er ein wenig profan geworden. Seine Stelle nahm etwas später der Mars ein, der noch immer nah, aber eben unerreicht war und auch hier tummelten sich zunächst Monster und finstere Invasoren. Krieg der Welten und viele andere Science-Fiction Filme der 50er und 60er Jahre lassen die Außerirdischen vom roten Planeten kommen, der gerade dicht genug an der Erde dran ist um vielleicht eine Bedrohung darstellen zu können.

Immer wieder gesellten sich dann zur Faszination des Unbekannten die Faszination der Wissenschaft und der Mars wurde noch häufiger für die Destination von Weltraumreisen herbeigezogen. Einen Peak gab es im Jahre 2000 als kurz hintereinander Mission to Mars und Red Planet die Leinwand trafen. Und beide waren grauenhaft. Sie killten die Leidenschaft für den Mars fast, wäre da nicht ein Jahr später John Carpenters Ghosts of Mars gewesen: ein Megaflop, für viele Jahre der Marsliebe den Todesstoß gab. Zumindest bis 2012 John Carter (of Mars) vorbei kam… und schaffte all das nochmals zu unterbieten.

Überhaupt gibt es so viele schlechte oder mittelmäßige Mars-Filme, dass es viel einfacher ist die guten aufzuzählen: Die beiden großen Krieg der Welten Adaptionen kann man sich durchaus anschauen, Mars Attacks ist zwar kein Meilenstein, aber doch recht unterhaltsam. Leider kann man diese Filme nur halb zählen, denn obwohl sie Marsianer zeigen, zeigt keiner von ihnen den Mars. Wenn man beide Augen und ein Ohr zudrückt kann man Watchmen als Marsfilm zählen und natürlich gibt es Total Recall (das Original) der wirklich verdammt gut ist. Wenn aber der einzige ohne Wenn und Aber vorzeigbare Film ein 25 Jahre alter Schwarzenegger-Streifen ist, dann hat der Mars wirklich ein Image-Problem.

Nun kommt also Ridley Scott, der sich an diesem scheinbar mehr als ungastlichen Planeten abmüht und irgendwie wird man aus ihm nicht so ganz schlau. Große Produktionen hat er immer gemacht und ein gestandener Name in Hollywood ist er ohnehin, aber wenn man mal schaut wie viele seiner Filme einfach nur unteres Mittelmaß sind, kann es einem kalt den Rücken runter laufen: Ein gutes Jahr, Robin Hood, Die Akte Jane, Hannibal und die in den letzten Jahre frisch dazugekommenen Multimillionen-Dollar-Flops Exodus und The Counselor.

Das ist nur eine kleine Auswahl aus einem riesigen Berg an Blockbuster-Fehltritten, in dem jeder sicherlich seinen ganz persönlichen Tiefpunkt findet. Aber hier und dort blitzt plötzlich Genialität auf. Lassen wir mal Gladiator und Thelma and Louise außen vor, ist es Scotts größter Verdienst das Science-Fiction Genre so wegweisend geprägt zu haben, dass sein Echo noch heute lautstark durch die Filmlandschaft hallt. Und das gelang ihm sogar zwei Mal innerhalb von nur drei Jahren!

Würde man nur diese Phase aus Ridley Scotts Schaffen kennen, man müsste ihn für ein Genie halten. Auf der einen Seite die finsteren Welten von Alien. Der Film, der Science-Fiction-Horror salonfähig gemacht hat und bis heute nicht nur eines der besten Filmmonster besitzt sondern auch eine starke Frauenrolle in den stillen Weiten etabliert hat. Auf der anderen Seite Blade Runner, der wie fast kein anderer Film die stilistischen Elemente eines Film Noir plötzlich in die Zukunft verortet und mit seiner dichten Atmosphäre und philosophischer Grundhaltung schnell einer der cleversten Filme seiner Dekade wurde.

Scott kultivierte ein eigenes Erzähltempo, das gegen viele Sehgewohnheiten ging, sich ab und an fast träge anfühlte aber letztendlich die Stimmung seiner Filme zeichnete. Er lies sich in den richtigen Momenten Zeit, gestatte den Filmen, den Figuren und ihrer Welt damit zu atmen um ihnen dann im richtigen Moment mit chirurgischer Präzision die Luft abzuschnüren.

Das hört sich doch alles geradezu perfekt an: Ein Mann, der es schafft neue Welten zu erdenken, nimmt sich dem filmischen Sorgenkind des Sonnensystems an und kann endlich einen Film schaffen, der dem unfassbaren aber zum Greifen nahen Mars gerecht wird. Da gibt es nur ein Problem: Der letzte Science-Fiction Film von Ridley Scott war weder Blade Runner noch Alien sondern Prometheus. Kein visionärer Genre-Vertreter sondern eher ein effektüberladener Horror aus dem Klischeebaukasten. Kann Scott mit Der Marsianer wieder zur alten Form zurückfinden oder sind all seine wegweisenden Visionen schon längst begraben unter Metern von trägem, rotem Sand?

Der Marsianer handelt von Mark Watney (Matt Damon), der auf einer Forschungsmission zum Mars in einem Sturm verschwindet und zurückgelassen wird. Als Mark aufwacht sind seine Kollegen, die ihn für tot halten, schon zurück auf dem jahrelangen Weg zur Erde und Mark muss versuchen zu überleben und im Bestfall nach Hause zu kommen. Die komplette Etablierung geschieht rasend schnell und ehe wir das Gefühl für eine der Figuren bekommen gibt Mark in einer Art und Weise in der sich andere Leute entschließen, heute mal das Schokomüsli und nicht das normale zu kaufen bekannt: „Ich werde hier nicht sterben.“

Was folgt ist eine Matt Damon Show: Er bastelt, er tüftelt, er baut Gemüse an, er besorgt sich Strom und Wasser, versucht zu kommunizieren und führt dabei (damit es kein Stummfilm wird) ein V-Log Tagebuch. Da dämmert es einem plötzlich: Man ist gar nicht in einem Science-Fiction Film à la 2001: A Space Odyssey oder Interstellar sondern in einer Robinson Crusoe Geschichte. Ein Mann, auf sich allein gestellt, gestrandet in einer fremden Umgebung, versucht mit dem Wenigen, was von seinem „Schiffbruch“ übrig ist, seine Tage zu bestreiten und nach Hause zu kommen. Und so schaut sich der Film wie eine Mischung aus Cast Away und Apollo 13 mit allen Story-Elementen, die man so erwartet.

Überhaupt ist der komplette Film unglaublich hollywoodesque, was sein Drehbuch und seine Inszenierung angeht: Wissenschaftler erklären die komplexe Vorgänge mit einfachen Metaphern, Nerds kommen durch eine beiläufige Bemerkung auf grandiose Einfälle. Es gibt die großen Bilder, die jubelnden Menschen, die Schaltzentralen der NASA und alles, was sonst noch ins Hochglanzpaket gehört. Sogar ein paar schmissige Montagen zu Songs von David Bowie und Abba sind dabei.

Die Entscheidung diese Geschichte genau so zu erzählen, ist bewusst getroffen und sie ist Fluch und Segen zugleich. Schon bald merkt man, dass dem Film eine unbekümmerte Natur inne ist und jede Sorge um die Figuren fällt damit vom Zuschauer ab. Alles ist weiterhin spannend, aber ohne aufregend zu sein, denn egal was passiert: Wir schaffen das schon! Die großen kontroversen Themen, die aufgegriffen werden könnten über den Wert eines Menschenlebens, über Verantwortung der Wissenschaft, über Wahnsinn, Einsamkeit und Tod, werden gekonnt umschifft, um die Stimmung und die Action nicht zu trüben. Der Film verlangt dem Zuschauer nicht das Geringste ab und (wie es Watney selbst ausdrückt) geht einfach von einem Problem zum nächsten, bis die Lösung für alles gefunden ist. Wir können diese Lösungen aber nie antizipieren, wir haben keinen Eindruck davon was möglich ist und was nicht, sondern werden einfach mit auf diese Fahrt genommen ohne groß mitzudenken zu müssen.

Auf der anderen Seite geht die Rechnung auf, denn Ridley Scott ist eben auch ein solider Handwerker, wenn er das richtige Budget hat. Wer in Stimmung für einen Blockbuster ist, der hält was er verspricht, wird aus all den eben genannten Gründen seine helle Freude am Der Marsianer haben. Denn trotz seiner knapp zweieinhalbstündigen Laufzeit hat er fast keine Längen. Der Grund? Matt Damon!

Zwar ordnet sich sogar seine Figur der glatten Filmoberfläche unter, hat wenig Konflikte und wenig Entwicklung, aber Matt erinnert uns daran, dass er ein wirklich guter Schauspieler sein kann und verkörpert seinen Mark Watney mit einer unfassbaren Sympathie. Schon nach wenigen Minuten sind wir auf seiner Seite und fühlen ein fast freundschaftliches Verhältnis zu ihm. Das ist die größte Stärke des Films: Wir wollen unbedingt, dass dieser nette, menschliche Kerl mit seinem losen Mundwerk und seinem zynischen Humor heil aus der Sache herauskommt. Ein aktiver Protagonist, der Spaß macht und auch in seiner tristen Lage noch Leidenschaft für das empfindet, was er tut und das mit dem Publikum teilt. Ein simples Konzept, aber eines, das trägt.

Der Marsianer kann sich dank der schwachen Konkurrenz auf die Fahne schrieben der wohl bis dato beste Mars-Film zu sein, trotz (oder vielleicht gerade wegen) der Tatsache, dass er keinerlei Risiken eingeht und nur schönes Hollywoodkino ohne nennenswerten Tiefgang liefert. Doch ausgerechnet von Ridley Scott, der seine Glanzmomente im Gegenteiligen hatte, nämlich im schweren, langsamen, nachdenklichen Kino, hatte man sich insgeheim mehr gewünscht. Etwas, das einen zum Staunen bringt und die Gedanken im Kopf kreisen lässt, wie damals, in den knapp drei Jahren, als er das Genre für immer veränderte.

Ob Watney befreit werden kann, wird an dieser Stelle nicht verraten. Der Mars als Filmplanet ist jedenfalls vorerst gerettet und rehabilitiert. Ridley Scott aber scheint die Flamme seiner alten Genialität nicht wieder entfachen zu können, sondern liefert einen schnörkellosen Unterhaltungsfilm, den auch viele andere hätten drehen können.

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